Tüll ist ein ungewöhnlicher Stoff, der Kleidern und Jupes mehr Volumen verleiht, aber nur selten selbst in Erscheinung tritt. Der Name des Stoffes leitet sich von der südfranzösischen Stadt Tulle ab, die in vergangenen Jahrhunderten ein wichtiges Zentrum der Textilherstellung war. Etwa um 1700 entwickelten die Weber der Stadt ein neuartiges Netzgewebe, das federleicht und halbtransparent war. 1840 traf die britische Queen Victoria die damals aussergewöhnliche Entscheidung für ein weisses Hochzeitskleid mit Tüll und Spitze – und begründete damit den bis heute anhaltenden Trend zum weissen Brautkleid mit Tüllschleier. Seither wuchs die Zahl der Verwendungszwecke für Tüll immer weiter an. Da das zarte netzartige Gewebe fast durchsichtig ist, wurde Tüll zum wichtigsten Stoff für Hutnetze, mit denen Damen die obere Gesichtshälfte oder das ganze Gesicht verschleierten. Eine eingearbeitete Tüllschicht verlieh den bodenlangen Kleidern der Epoche ihr Volumen und für die privaten Stunden kam Tüll zusammen mit Chiffon und Organza in der Lingerie zum Einsatz.
In der regulären Mode ist Tüll derzeit nur wenig gefragt. Seit einiger Zeit findet ein zartes Revival der klassischen Sommerkleider aus den 50er und 60er Jahren statt, die durch eine eingearbeitete Tüllschicht ihr zauberhaftes bauschiges Volumen erhielten. Daneben findet Tüll auch heute noch Verwendung zur Dekoration von Hüten oder – aus Seide gefertigt – als herrlich leichte Halstücher für den Sommer. Ab und zu arbeiten Designer Tüll in ihre Prêt-à-porter-Kollektionen ein. Festliche Kleider sind manchmal mit einer obersten Lage Tüll versehen, die mit kleinen Blumen, Glitzersteinchen oder anderen dekorativen Elementen verziert ist. Doch vor allem in der Brautmode spielt Tüll eine wichtige Rolle. Kaum ein Brautkleid mit üppigem Jupe wird ohne Tüll gefertigt – erzielt er doch das gewünschte Volumen. Und was wäre die Kleidung der Braut ohne den zarten Brautschleier aus Tüll? Ausser für Kleidung wird Tüll gerne für dekorative Textilien wie Tischdecken und vor allem Gardinen verwendet. Hier kombiniert Tüll wie kein anderes Material Leichtigkeit und Transparenz mit üppigem Volumen. Kleine Tüllstreifen sind für Bastelarbeiten beliebt, zum Beispiel als Tüllschleifen um Geschenke und Ostereier, als Dekoration am Weihnachtsbaum oder als Teil eines Gestecks.
Seit Eugene Lami im Jahr 1832 erstmals einen Ballettjupe aus hauchzartem Tüll für die Ballerina Marie Taglioni in der Pariser Oper schneiderte, ist das Tutu aus dem Ballett nicht mehr wegzudenken. Bis heute sind Tutus aus Tüll gefertigt, wobei zwischen bestimmten Arten unterschieden wird: Das klassische "romantische Tutu" reicht bis zu den Knien und umspielt sanft die Beine. Das kurze und enorm steife Tutu, das waagerecht vom Körper absteht, wird dagegen wenig romantisch als Pfannkuchen-Tutu bezeichnet. Für ein einziges Tutu werden bis zu 70 Meter Tüll verarbeitet! Tüll wird zudem gerne für Karnevalskostüme verwendet, zum Beispiel in Form eines Kragens für Clowns und Pierrots oder als Umhang für Hexen, Vampire und andere Gruselgestalten. Zum "Mardi Gras"-Karneval in New Orleans werden farbenfrohe Tüllröcke und üppige bunte Tüllkragen getragen. Der hauchdünne Netzstoff kennt noch andere praktische Einsatzgebiete, zum Beispiel als Moskitonetz in den Tropen, als Abdeckung für Lebensmittel im Freien oder als dünnes Netz für Aquarien.
Tüll ist ein extrem zarter empfindlicher Stoff, der entsprechend behandelt werden sollte. Das teure Ballkleid mit Tüll wird am besten in die Reinigung gegeben, sofern es Flecken davongetragen hat. Ansonsten genügt es oft auch, das Kleid ein bis zwei Tage lang lüften zu lassen, ehe es wieder in den Schrank kommt. Einfache Kleidung mit Tüll kann in der Waschmaschine bei 30° im Schonwaschgang gereinigt werden, wobei für farbiges Tüll am besten entsprechendes Color-Waschmittel verwendet wird. Tüllgardinen werden mit speziellem Gardinenwaschmittel in der Waschmaschine wieder herrlich weiss.